Seit mehr als 100 Jahren ist der Diskos von Phaistos ein archäologisches Rätsel. Die runde Tonscheibe, in die im 17. Jahrhundert v. Ch. Schriftzeichen gestempelt wurden, ist bis heute nicht entziffert. Die geheimnisvolle Schriftzeichen wurden im Palast von Phaistos gefunden, der zur wunderbaren minoischen Kultur auf Kreta gehörte. Nun wurden neue Forschungsergebnisse präsentiert, die den Diskos einer schwangeren Göttin und der minoischen Göttin Aphaia zuschreiben.
Der Diskos von Phaistos (Festos) ist eines der bedeutendsten und zugleich rätselhaftesten Funde aus der Bronzezeit. Er wurde 1908 in der altpalastzeitlichen Palastanlage von Phaistos auf Kreta gefunden.
In einer spiralförmigen Anordnung sind Symbole von Menschen, Pflanzen und Gegenständen zu sehen, die mit Trennzeichen in Gruppen angeordnet sind, so dass man annehmen kann, dass diese Wörter ergeben. Die Zeichen wurden nicht per Hand eingeritzt, sondern mit Stempeln in den noch feuchten Ton gedrückt, sodass die Wissenschaft von dem ersten Druck mit beweglichen Lettern spricht.
Dass die Zeichen nicht entziffert werden können, liegt auch daran, dass der Diskos von Phaistos das einzige Fundstück seiner Art ist und damit ein einzigartiges Beispiel einer frühen minoischen Schrift. (Aber nicht der einzigen, denn diese außergewöhnlich entwickelte Kultur brachte auch noch eine Hieroglyphenschrift, sowie die ebenfalls weitgehend unentzifferten Schriften Linear A und Linear B hervor.) Das einzigartige Artefakt kann man heute im Archäologischen Museum in Heraklion bewundern.
Die leuchtende, strahlende Göttin Aphaia
„Wer den Diskos von Phaistos entziffert, wird den Nobelpreis gewinnen“ sprach der Linguist Gareth Owens und nahm die Aufgabe vor über zehn Jahren in Angriff.
Nach seiner neuen Interpretation, die er kürzlich der National Hellenistic Research Foundation präsentierte, beschreibt die eine Seite des Diskos eine schwangere Göttin die „strahlt“ und die zweite Seite sei der Göttin Aphaia, die die Dinge ordnet, gewidmet.
Auf einem Durchmesser von rund 16 Zentimeter sind 45 verschiedenen Symbole zu sehen, insgesamt sind 242 dieser Schriftzeichen in Gruppen angeordnet, und zwar spiralförmig, vorne und hinten bedruckt. Daraus ergeben sich 61 Wörter, auf beiden Seiten des Diskos von Phaistos.
Sechs Worte würden, so Gareth Owens, Licht bedeuten, sechs Sonnenuntergang, und drei beziehen sich auf die schwangere Göttin. Weitere zehn würden die Göttin Aphaia beschreiben.
Auf der zweiten Seite fänden sich Hinweise eine bekannte minoische Göttin, die auf Kreta auch als Britomartis oder Diktynna (vom Berg Dikte) bekannt war.
Die Sprache des Diskos von Phaistos wieder hören?
Owens versuchte sich auch an einer phonetischen Interpretation und stellt das Wort “I-QE-KU-RJA”, das dreimal erschient, ins Zentrum seiner Überlegungen. Und so könnte die minoische Sprache geklungen haben.
Ob der Diskos von Phaistos tatsächlich eine Ode an die Göttin Aphaia ist, lässt sich auch durch diese jüngst präsentierte Forschungsarbeit nicht mit Sicherheit sagen. Doch die Göttin Aphaia war neben Rhea und der Schlangengöttin eine der zentralen Göttinnen der minoischen Kultur. Ihr Mythos erzählt, warum ihr Haupttempel jedoch auf der Insel Ägina lag.
Aphaias Tempel auf Ägina
Denn auch auf der nahe Athen gelegen Insel Ägina wurde die Göttin Aphaia schon in mykenischer Zeit verehrt. Ihr Name bedeutet die Unsichtbare, denn sie ist so lichtvoll und ihre Erscheinung strahlt so hell, dass sie dem Sonnenlicht gleicht und daher nicht gesehen werden kann.
Die Mythen, die sich um die strahlende Göttin ranken, verweisen wieder auf eine Bruchlinie zwischen Matriarchat und Patriarchat. In Kreta wurde sie noch als Nymphe Britomartis oder Diktynna (die vom Berg Dikte) genannt, die die Jagd liebte und als Gefährtin der Artemis eine freie Frau bleiben wollte. Sie war ungezähmt und unverheiratet. Auf minoischen Münzen wurde Britomartis mit Ungeheuern dargestellt. Sie trug eine Zweihandaxt und wurde von wilden Tieren begleitet.
Es wird erzählt, dass Aphaia vor ihrem Verehrer König Minos neuen Monate durch die wilden Berge Kretas flüchte und – als er sie beinahe zu fassen bekam – von einer Klippe ins Meer sprang. Der Fischer Andromedes rettete sie in seinem Fischernetz und brachte sie mit dem Boot übers Meer nach Ägina. Als auch dieser sie bedrängte, flüchtete Aphaia zuerst in ein Wäldchen, wo sie unsichtbar wurde (Aphaia = unsichtbar). Dann versteckte sie sich in einer Höhle, in der viele Terrakotta-Figuren gefunden wurden. Darunter waren auch auffallend viele Tonfiguren von Frauen mit einem Kind im Arm, was sie als Schutzgöttin der Mütter und Kinder ausweist.
Aphaia hat eine starke Verbindung zur olympischen Göttin Artemis. In einer Mythenversion erhob Artemis die Aphaia in den Rang einer Göttin, der sie diente. Doch Artemis selbst trug ebenfalls den Beinamen Diktynna. Artemis liebte ebenfalls die Jagd, die Berge, die wilden Tiere und ihre Unabhängigkeit. Auch sie äußerte den Wunsch, eine freie Frau zu bleiben. Und wie Aphaia war sie eine Schutzgöttin der Mütter und Kinder.
Vor allem Frauen verehrten Aphaia. In den kultischen Zeremonien, die in ihrem Tempel gefeiert wurde, geht es um das mythische Ereignis des Verschwindens der Göttin in einer Höhle, der Suche nach ihr und ihre Rückkehr als lichtvolle Gestalt in ihren Tempel. Verkörpert wurde die Göttin Aphaia von einer ihrer Priesterinnen.
Ihr erstes Heiligtum, das schon 2000 v. Ch. Bestand, war ein heiliger Hain, in der ihr Opfergaben dargebracht wurde, Dieser Bereich wurde im Laufe der Zeit abgegrenzt, was als Temenos bezeichnet wird. Um 570 v. Chr. wurde an derselben Stelle ein steinerner Tempel errichtet, der danach mehrmals erweitert und umgebaut wurde. Später wurde eine 14 Meter hohe Säule im Nordosten des Tempels errichtet, die eine Marmorsphinx krönte.
Ab 500 v. Chr. erhielt die ursprüngliche Göttin Äginas, Aphaia, Gesellschaft von Athene, die nun die Schutzgöttin der Insel wurde.
Aphaia flüstert: Ich bin strahlend und hell, doch wer mich nicht achtet, der wird mich auch nicht sehen. Denn ich bin die Nicht-Dunkle, meine Intentionen sind klar. Ich liebe die Jagd und die Freiheit. Und um die Freiheit zu schützen, sorge ich für Frauen und ihre Kinder.
Ausflugstipps:
Ägina
Die Insel Ägina ist von Athen mehrmals täglich mit Schnellbooten in ca. 1 ½ Stunden erreichbar. Der Tempel der Aphaia ist wunderschön erhalten und liegt auf einer anmutigen Bergkuppe. Auch sonst hat die Insel einiges zu bieten, denn dort wachsen die besten Pistazien. Ägina hat einen kleinen Fischmarkt , rundherum gibt es zahlreiche Tavernen in denen man günstig und ausgezeichnet frischen Fisch essen kann. Pferdekutschen warten am Hafen, der von griechischem Trubel geprägt ist.
Das archäologische Museum von Heraklion
Im Archäologischen Museum in Heraklion lässt sich nicht nur der geheimnisvolle Diskos von Phaistos, sondern auch viele andere wunderbare Fundstücke aus minoischer Zeit betrachten. Es ist unbedingt einen Besuch wert!
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